Die Roatel Story
PropTech Start-Ups sind Unternehmen, die mit neuen, meist digitalen Geschäftsideen auf dem bislang eher konservativen Immobilien- bzw. Wohnungsmarkt für frischen Wind sorgen. Dabei kann man sol-che Hybride meist weder ganz der Immobilienbrache zurechnen, noch sind es reine Internetunternehmen. Die Grenzen verschwimmen zuneh-mend. Das macht sie so disruptiv für die Branche.Roatel ist dafür ein gutes Beispiel. Mit der Verabschiedung des Mobilitätspakets 1 des EU-Parlaments im Sommer 2021 dürfen Berufskraft-fahrer bestimmte Ruhezeiten nicht mehr in ihrer Fahrerkabine verbringen, sondern müssen ins Hotel. Da es aber weder geeignete noch preiswerte Übernachtungsmöglichkeiten mit LKW-Stellplatz in Autobahnnähe gibt, haben sich die Gründer von Roa-tel ein digitales Konzept ausgedacht. Einerseits produzieren sie Mikro-Hotels, stellen diese an Autohöfen und Raststätten auf und betreiben sie selbst. Es ist also ein Hotelunternehmen. Anderseits haben sie dafür die passende Buchungsplatt-form programmiert, mit der Trucker in ihrer Muttersprache das passende Zimmer finden, buchen, bezahlen und öffnen können. Roatel ist sozusagen ebenfalls das Booking.com für Berufskraftfahrer. Zudem will Roatel zukünftig sämtliche Bestands- und Bewegungsdaten auswerten, um das eigene Angebot zu optimieren. Daten, die – natürlich anonymisiert - auch für andere Unternehmen äu-ßerst interessant sind. Ralf-Peter Kals, einer der beiden Gründer, erklärt die Vorteile für den Gast: „Die Trucker lassen nachts ungern den LKW unbeaufsichtigt, sie wollen in der Nähe bleiben. Den LKW können sie aber nicht irgendwo in der Stadt abstellen. Also kommen wir mit dem Hotel zu ihnen. Langes Suchen und Herumfahren entfällt, ein LKW-Stellplatz ist quasi vor der Türe. Der Arbeitgeber kann das Zimmer im Voraus buchen und bezahlen. Der Fahrer benötigt nur noch ein Smartphone. „Roatel“ ist eine eigene Wortschöpfung aus Road und Hotel. Der Begriff hat sogar schon einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Der Bedarf an Übernachtungsmöglichkeiten für LKW-Fahrer ist groß. Alleine in Deutschland übernachten täglich 120.000 LKW-Fahrer. Neben Truckern nutzen vor allem auch Handwerker und Monteure die Zimmer. Die Mikro-Hotels haben alles, was die Zielgruppe braucht: Ein normales Bett, Tisch und Sitzbank, WC und Duschbad, täglicher Wäschewechsel und Reinigung. Dazu kostenloses SatTV und natürlich WLan. Die Klimaanlage sorgt für angenehme Wärme im Winter und die notwenige Kühlung im Sommer. Der Clou ist aber: Die Mikro-Hotels sind nicht aus Stein, sondern werden aufwändig in einen handelsüblichen Überseecon-tainer gebaut. Es sind überbreite 45 Fuß-Container, die zudem noch extra hoch sind, damit das Zimmer nach Ausbau noch eine stattliche Deckenhöhe von 2,50m hat. Dadurch hat man in den rund 7,5 Quadratmeter großen Zimmern nie den Eindruck, in einem Container zu stehen. Das aus der Kabel1-Serie bekannte Trucker-babe Julia Beitler bestätigt: „Wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich in einem Container schlafe, ich hätte es niemals gedacht.“ Auch die meisten Trucker sind begeis-tert. Andreas Rothe, Gründer vom BKF Pro, der sich für die Interessen von Berufskraftfahrern einsetzt, hat das Roatel selbst getestet und empfiehlt: "wir brauchen viel mehr von den Roatels, am besten an allen Autohöfen und Rastanlagen. Vor allem die Kollegen aus dem europäischen Ausland, die meist viele Wochen unterwegs sind, brauchen solche tollen Lösungen. Man merkt, dass sich da Fachleute Gedanken gemacht haben.“ Produziert werden die Roatels in einer eigens dafür gebauten Fertigungshalle in Löningen. Mitgesellschafter Peter Imbusch ist spezialisiert auf hochwertige Einbau- und Küchenmöbel, hat aber auch jahrelange Erfahrung mit Mikroapartments, die er sogar in große Pferdetransporter verbaut. Als er von der Idee aus Düsseldorf hörte, be-teiligte er sich sofort und begann mit dem Aufbau der Serienfertigung. Pro Monat sollen bis zu 15 Roatels fertiggestellt werden. Die Gründer hatten 2019 den befreundeten Schuh-Mogul Peter Prange als ersten Angel-Investor gewonnen.
Die NRW.Bank unterstützte das Start-up mit Darlehen und half auch bei den ersten Verwerfungen in der Coronakrise 2020 mit weiteren Dar-lehen. Inzwischen ist ein weiterer In-vestor aus der Schweiz mit an Bord, das Budget liegt bei fast 3 Millionen Euro – die Fertigung in Niedersach-sen noch nicht mit einberechnet. Ralf-Peter Kals: „Unser Modell hat inzwischen auch im Ausland für Interesse gesorgt. Wir sind mit einem großen Mineralölkonzern wegen des europaweiten Roll-outs im Gespräch. Allerdings wollen wir 2022 erst einmal unsere Hausaufgaben in Deutschland erledigen. Wir planen 30 Standorte. Das ist schwierig ge-nug, da wir für jedes Roatel u.a. e
Baugenehmigung benötigen. Insgesamt wollen wir in den kommenden Jahren 600 Roatels aufstellen. In Europa werden es wohl mindestens 2.500 sein. 10.000 Roatelzimmer – das ist unser Ziel.“Kals selbst ist kein Unbekannter in Düsseldorf. In den Nuller-Jahren hatte der gelernte Speditionskaufmann und Verkehrsfachwirt in Deutschland mit dem Start-up FIRST MAIL, das er mit einem Freund in Düsseldorf gegründet hatte, auf dem Postmarkt für große Aufmerksamkeit gesorgt. FIRST MAIL war nach der Liberalisierung des Postmarkts zunächst als lokaler Wettbewerber zur Deutschen Post angetreten, hatte aber schnell ein großes Zustellnetzwerk im Westen aufgebaut und war auch nach Köln expandiert. Die Deutsche Post kaufte den Wettbewerber kurzerhand auf. Zwei Jahre später kopierte Kals seine eigene Erfolgsstory. Zusammen mit seinem Freund Christian Theisen, den er damals als Geschäftsführer zu FIRST MAIL geholt hatte, und dem Studienkollegen Martin Swart grün-dete er die Freesort in Düsseldorf-Heerdt. Damit rollten beide den Post-konsolidierungsmarkt auf, der zu diesem Zeitpunkt gerade erst durch eine Entscheidung des Bundeskar-tellamtes zwangsweise geöffnet worden war. 10 große Briefsortierzentren wurden in Deutschland geplant und schrittweise eröffnet. Eine Millioneninvestition. Bereits ein Jahr später verkauften die Gründer das Unternehmen im Zuge eines Börsengangs an die Francotyp-Postalia. 200 Millionen Briefsendungen pro Jahr hat Freesort in Spitzenzeiten verarbeitet. Das Unternehmen wurde mehrfach für die Beschäftigung und Integration schwer behinderter Menschen ausgezeichnet. Kals, Theisen und Swart – alle drei sind jetzt auch bei Roatel aktiv. Es ist anzunehmen, dass hier wieder eine Erfolgsstory in Düsseldorf geschrieben wird – ob als Hotelkonzern, digitale Plattform oder Datenpool wird sich noch zeigen.
Quelle Journal (zuletzt abgerufen am 04.05.2022)